DALA        und        DUDI


 



Gesellschaftliche Einrichtungen, auch solche mit scheinbar nur praktischen Aufgaben, haben die fast natürliche Neigung, eine Eigendynamik zu entwicklen und ihre Mitglieder zu «verraten» . Zusammenarbeit erzeugt Macht und es gibt immer Gruppen, die sich diese Macht aneignen wollen. Wenn man ihn nicht bewusst verhindert, erwächst der Staat aus jeder Art gesellschaftlicher Organisation. Das beste Hindernis gegen diese Tendenz ist die Unabhängigkeit der bolos. Ohne sie müssen alle formalen demokratischen Machtbegrenzungsmethoden scheitern, sei es nun das Prinzip der Delegation von unten, Ämterrotation, Gewaltenteilung, Öffentlichkeit, Informationspflicht, Wahl durch das Los usw. Kein demokratisches System kann demokratischer sein als die materielle, existentielle Selbständigkeit seiner Mitglieder. Es gibt keine Demokratie für ausgebeutete, wirtschaftlich und kulturell erpresste Leute.

Ausgehend von der Autarkie der bolos können einige Vorschläge gemacht werden, wie das Risiko des Staats trotz gesellschaftlicher Zusammenarbeit vermindert werden kann. Innerhalb des bolos gibt es keine Regeln - die Art der Entscheidungsfindung wird durch die jeweilige Lebensweise bestimmt. Doch auf höheren Ebenen (Nachbarschaft, Stadt, Region) könnten folgende Verfahren sinnvoll sein (viele andere sind auch denkbar).

Die Nachbarschaftsangelegenheiten werden in einer Delegiertenversammlung (tega'dala) diskutiert und ausgeführt. Jedes bolo entsendet zwei Delegierte und dazu kommen zwei externe Vertreter (dudis) aus andern Versammlungen (siehe unten). Die boloVertreter werden durch das Los bestimmt und die Hälfte davon müssen Männer sein (damit die Fraugen wegen ihrer «natürlichen» Mehrheit nicht das Übergewicht haben). Altersgrenzen gibt es keine. Kinderdelegierte können ihre Mütter, Väter oder Onkel/Tanten mitbringen.

Das tega'dala wählt aus seinen Mitgliedern zwei dudis, ebenfalls durch das Los. Diese Delegierten werden durch ein weiteres Los-System in andere dalas (Nachbarschaft, Städte, Regionen) anderer Stufen entsandt. So schickt vielleicht ein tega'dala Barceloneta (Barcelona) einen Vertreter ins sumi'dala Andalusia, das sumi'dala Bayern einen ins tega'dala Kreuzberg (Berlin), das fudo'dala Tsüri einen Vertreter ins tega'dala Appenzell oder umgekehrt. Solche auswärtigen Vertreter hätten volles Stimmrecht und wären natürlich nicht etwa zur Diskretion verpflichtet - im Gegenteil. Sie sollen «fremde» Gesichtspunkte ins Spiel bringen, interne Mauscheleien ausbringen, Gewohnheiten durchbrechen, also beobachten, stören, spionieren. Ähnlich wie die überall auftauchenden Gäste und Nomaden können sie helfen, Isolationserscheinungen in bolos und Nachbarschaften zu durchbrechen. Sachunkenntnis, Unabhängigkeit, Unbekümmertheit, sind ihr wichtigster Beitrag.

Zusätzlich könnten alle Amtszeiten aller dalas auf ein Jahr begrenzt werden. Die Sitzungen sollten öffentlich sein oder durch Radio/Fernsehen übertragen werden. Jedermann sollte an Sitzungen zu Wort kommen können, nicht nur Delegierte. All das erinnert an Häuptlingstreffen (nur sind die «Häuptlinge« hier verlost) oder Thing-Räte.

Die bolo-Vertreter hätten je nach bolo-Eigenart verschiedene Stellungen. Manche wären ganz unabhängig, andere an strenge Instruktionen «gebunden» (eigentliche Sanktionen wären kaum möglich), je nach dem, ob sie ein mehr liberales oder mehr soziales bolo vertreten. Alle Vertreter wären selbst zuständig für die Ausführung der Beschlüsse und würden in verschiedenen Ausschüssen mitwirken, sodass ihre Tätigkeit als eine Form der Fronarbeit (kene) betrachtet werden kann.

Die dalas aller Ebenen können nicht mit Parlamenten oder Regierungen verglichen werden. Sie verwalten nur, was die bolos ihnen übrig lassen und was die bolos zulassen. Ihr Spielraum ist gering, ihre Legitimation schwach (Los), ihre Unabhängigkeit bedroht, ihre Aufgaben praktischer Art und lokal begrenzt. Sie gleichen eher den alten Tagsatzungen, Senaten oder «Oberhäusern», d.h. es sind Treffen selbständiger Eiheiten, eine Art Feudal-Demokratie ahne Adel. Es sind nicht einmal Konföderationen und sie können leicht an Uneigkeit zerbrechen. Physische Sanktionen, Rechtsetzung, Zwang (alles, was den «Rechtsstaat» ausmacht) fällt ins Leere, weil jedes ibu ungehindert «fliehen» oder in einem bolo «Asyl» (sila) finden kann. Der «rechtsfreie Raum» umzingelt die gesellschaftlichen Einrichtungen, sodass sie kaum gedeihen können. Volksversammlungen sind immer und überall möglich. Was sollen dagegen 40 oder 60 dala-Delegierte ausrichten?



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