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Lao Tse - Das Tao te King - Mit Erläuterungen von V.v. Strauss

Buch 1 - Kapitel 8


 
 


Der höchst Gute ist wie Wasser.

- Wasser ist gut, allen Wesen zu nützen,
und streitet nicht;
es bewohnt, was die Menschen
verabscheuen. -

Darum ist er nahe dem Tao.

Im Wohnen ist er gut der Erde,
Im Herzen gut dem Abgrund,
Im Geben gut der Menschenliebe,
Im Reden gut der Wahrheit,
Im Herrschen gut der Regelung,
Im Wirken gut der Fähigkeit,
Im Bewegen gut der rechten Zeit.

Er streitet nicht,
darum wird ihm nicht gegrollt.
 


Das im vorigen Kapitel aus dem Vorbild von Himmel und Erde gezogene ethische Prinzip, die Aufgebung des Selbst, die Hingabe an andere, wird hier weiter ausgeführt. «Der höchst Gute» ist hier eine andere Bezeichnung für den «heiligen Menschen». Manche Übersetzer geben den ersten Satz ganz allgemein wieder: «Höchste Güte ist wie Wasser.» Alle organischen Wesen bedürfen, um zu bestehen und erhalten zu werden, des Wassers, und gefällig und erquickend bietet es sich ihnen dar und nützt ihnen. Durchaus gibt es sich hin, widerstrebt und widersteht nicht, will nichts für sich sein und schmiegt sich ohne Widerstreit in alle Verhältnisse, ohne seine wohltätige Natur zu verleugnen.

Wiewohl aber alle seiner bedürfen und es alle segnend erfreut, ist es doch ein Bild tiefer Demut; denn überall sucht es die niedrigsten Stellen auf, stets abwärts fließend und ruhig erst verweilend in solcher Niedrigkeit, die alle Menschen meiden und verabscheuen. In alledem gleicht ihm der «höchst Gute». Die Worte von «Wasser ist gut» bis «verabscheuen» sind ein Zwischensatz zur Erläuterung des Vergleichs. «Nahe dem Tao » bezieht sich auf den «höchst Guten ». Weil Tao das, worin der höchst Gute dem Wasser gleicht, in reiner Vollkommenheit hat, «darum» kommt der ihm nahe, der diese Eigenschaften besitzt. Dieses «Nahesein» oder «Wenigabstehen» ist doppelsinnig; es heißt, sowohl «große Ähnlichkeit haben» als «sich dicht bei etwas befinden»; beides gilt.

In den sieben Aussprüchen ist das Wort «gut» beibehalten, aber als Zeitwort, was darauf hinweist, daß der Gute in allen erwähnten Beziehungen sich als gut dartut und sie dadurch zu dem macht, was sie sein sollen, nämlich ebenfalls gut. Das deutsche «gut sein» entspricht dem chinesischen Wort, da es ebenso «lieben» wie «taugen» und auch «wohltun» bedeutet. Die beiden ersten Sätze erinnern noch an das Gleichnis vom Wasser, das die Niederungen der Erde bewohnt, ja sich in ihre Abgründe hinunter begibt. Der Gute, in betreff seines Wohnens, liebt die niedrige Erde, d.h. er ist demütig, und dadurch kommt er ihr zugute, wie das Wasser die Niederungen fruchtbar macht. Was sein Herz anlangt, so ist er diesem und dieses ihm gut als Abgrund, d. h., was es umschließt, das birgt er schweigend in dessen Tiefen, und in diese liebt er es, sich zurückzuziehen; ebenso leer macht er sein Herz, den Sitz des Begehrens. Gibt und schenkt er, so tut er es um der Menschenliebe willen; hierin liebt er Mitleid und Erbarmen; aber er macht auch die Menschenliebe, die oft nur Gefühl oder Wort bleibt, durch tätiges Erweisen erst gut. Redet der Gute, so liebt und fördert er Wahrheit und Aufrichtigkeit und macht dadurch das Reden zu etwas Gutem. Sofern er herrscht oder gebietet, gesetz gibt, hebt und fördert er die heilsame Leitung der Menschen, ihre Regelung. «Wirken » (w.: Geschäft) ist eigentlich eine aufgetragene Verrichtung, weshalb es als Zeitwort auch «dienen» heißt. In diesem seinem Wirken, das aufgetragene) Geschäft verrichtend, taugt er und liebt er es, sich fähig und geschickt zu erweisen. Bewegt, rührt und regt er sich (von selbst, aus eigenem Antrieb), so versteht und liebt er es, die rechte Zeit und Gelegenheit dazu zu wählen.

Wie das Wasser, streitet auch der höchst Gute nicht; er widersetzt sich nicht, will keinen übertreffen, macht niemand etwas streitig. Lao-Tse legt auf diese selbstverzichtende Friedfertigkeit solchen Wert, daß er mit denselben Worten «er streitet nicht» sein ganzes Buch beschließt. Wer immer recht und wohl tut, still zurückweichend über keinen sich zu erheben sucht, mit keinem wettstreitet, der kann mit anderen nicht in Zwiespalt geraten, sie können ihm nicht zürnen oder grollen. Darum kann keiner in der Welt mit ihm streiten (s.a. Kap. 22, 66).

 
 

 

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